Stress-Antwort

Stress, Mind-Body Ansätze und Kinderwunsch

von | 8. April 2021 | Artikel

Auch ich weiss aus eigener Erfahrung, dass die Zeit des unerfüllten Kinderwunsches häufig als sehr stressvoll erlebt wird. Deshalb zeige ich Dir hier, wie dieses Thema in wissenschaftlichen Studien aufgearbeitet wurde und wie bedeutsam mentale und körperliche Strategien rund um das Stressmanagement während der Zeit des Kinderwunsches sein können. 

Wenn die immer stärker werdende Sehnsucht nach einer Schwangerschaft Monat für Monat beim Einsetzen der Menstruation enttäuscht wird, geraten viele Paare – insbesondere Frauen – leicht in einen Teufelskreis aus Hoffnung und Enttäuschung. Jeden Monat verstärkt sich der tiefe Wunsch nach einem Baby und die Verzweiflung über den Misserfolg nimmt zu.

Zugleich erhalten Frauen mit Kinderwunsch von ihrer Umgebung den immer wiederkehrenden Rat, sich nicht zu sehr auf den Kinderwunsch zu fokussieren. Sonst könne der allgemeinen Meinung nach eine zu intensive Fixierung auf den Wunsch, schwanger zu werden, die Chancen noch verschlechtern. «Wenn Du Dich denn nur einmal entspannen würdest, dann könntest Du auch bestimmt schwanger werden» bekommen immer wieder Frauen gesagt, die sich an mich wenden. Dieser sicher gut gemeinte Ratschlag stürzt die betroffenen Frauen zumeist in noch grössere innere Not, da es ihnen schlichtweg nicht möglich ist, den Kinderwunsch einfach auf Kommando weniger werden zu lassen.

Hinzu kommt, dass den betroffenen Frauen nun auch noch unterschwellig suggeriert wird, durch die Stärke ihres Wunsches seiner Erfüllung sogar aktiv entgegenzuwirken.

Was aber überhaupt an dem sensiblen Zusammenspiel von Psyche und unerfülltem Kinderwunsch dran ist, zeige ich Dir nun im Folgenden.

 

Zusammenhang Stress und Fruchtbarkeit

 

Die Wissenschaft untersucht den Zusammenhang zwischen Stress und Fruchtbarkeit bereits seit Längerem mit nicht ganz abschliessendem Konsens. Grundsätzlich geht aus Studien hervor, dass Stress wahrscheinlich nicht die alleinige eigentliche Ursache von Unfruchtbarkeit (Stichwort: Psychogene Infertilität) sein kann (Palomba et al. 2018, Rooney/Domar 2018, Wischmann et al. 2020). Auch Frauen mit einem hohen Level an Stress können schwanger werden.

Dennoch gilt es gemäss Wischmann als wissenschaftlich erwiesen, “dass starker psychischer Stress (z.B. berufs- oder partnerschaftsbedingt) sowohl bei der Frau als auch beim Mann zu deutlichen Störungen des Hormonhaushalts führen kann” (Wischmann 1999, S. 205). Bei Männern zum Beispiel kann Stress zu Erektionsproblemen führen, weil die hierfür notwendige psychische Entspannung nicht eintritt.

Ein kritische, indirekte Komponente von Stress auf die Fruchtbarkeit ist, dass sich langanhaltende psychische Belastungen in gesundheitsschädlichen Risikoverhaltensweisen (z.B. Zigarettenrauchen, Alkoholkonsum, ungesundes Ernährungs- und Essverhalten, mangelnde Bewegung) manifestieren können, was die Fruchtbarkeit beeinträchtigen kann (Santa-Cruz et al. 2020).

Ebenfalls nachgewiesen ist eine abnehmende Bereitschaft, in stressigen Situationen Geschlechtsverkehr zu haben, was zwar kein Indiz für Fruchtbarkeit ist, wohl aber einer möglichen Schwangerschaft im Wege steht.

 

Auswirkungen von Stress auf das Behandlungsergebnis der Reproduktionsmedizin

 

Inwiefern Stress auf den Erfolg einer assistierenden Reproduktionstechnik, wie der In-Vitro-Fertilisation (IVF), einwirkt, wurde vielfach untersucht, jedoch mit teils kontroversen Ergebnissen:

In einer Übersichtsstudie, die das Ausmass von depressiven, angst- und stressbedingten Symptomen auf eine Selbsteinschätzung der Studienteilnehmerinnen basierten, korrelierte das Ausmass der erfassten Symptome nicht mit der Dauer bis eine Schwangerschaft eintrat (Boivin et al. 2011).

Im Kontrast hierzu stehen vereinzelte Studien, die das Level an Cortisol (dem Stresshormon) im Haar erhoben. Die Haaranalyse stellt eine innovative Methode der Cortisolmessung dar, die es ermöglicht, die durchschnittliche Hormonausschüttung des Körpers rückwirkend über einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten zu bestimmen. Deutlich reduzierte Schwangerschaftsraten wurden mit dieser Methode bei Frauen festgestellt, die erhöhte Haar-Cortisol Werte aufwiesen (Massey et al. 2016, Santa-Cruz et al. 2020).

 

Mind-Body Ansätze und Kinderwunsch

 

«Umgekehrt» kann gemäss Domar das wichtige Zusammenspiel von Körper und Seele die Fruchtbarkeit auch positiv beeinflussen (Domar et al. 2011, Domar et al. 2000). Dr. Alice Domar, Professorin an der Harvard Medical School und Pionierin auf dem Gebiet der Mind-Body-Medizin mit Fokus auf Fertilität und Mutterschaft, hat bereits im Jahr 1987 ein Mind-Body Programm, bestehend aus Entspannungstechniken, verhaltenstherapeutischen Ansätzen wie Steigerung der Stress-Bewältigungsfähigkeiten und sozialen Unterstützungsmöglichkeiten, für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch entwickelt.

In einer wissenschaftlich durchgeführten Studie belegte Domar den positiven Effekt ihres Mind-Body-Programms anhand von 143 Frauen, die sich einer In-Vitro-Behandlung (IVF) unterzogen (Domar et al. 2000). 52 % der Frauen, die das Mind-Body-Programm für Unfruchtbarkeit abgeschlossen hatten, wurden in einem IVF-Zyklus schwanger, verglichen mit 20 % der Kontrollgruppe, die kein Mind-Body-Programm erhalten hatten. Ausserdem nahmen depressive Symptome und Ängste sowie physische Symptome wie Schlaflosigkeit, Bauch- und Kopfschmerzen signifikant ab. Gemäss der Studie ist dabei nicht entscheidend, ob der Stress auf den unerfüllten Kinderwunsch zurückzuführen ist oder durch andere Stressfaktoren ausgelöst wird. Dr. Domar weist in ihrem Zentrum für Mind/Body Health vergleichbare Zahlen seitdem jährlich aus.

 

Stress durch unerfüllten Kinderwunsch

 

Auch wenn die Mechanismen von Stress und Stressbewältigung auf Fruchtbarkeit nicht abschliessend geklärt sind, ist die Wissenschaft sich einig, dass Paare mit unerfülltem Kinderwunsch unter hoher Anspannung leiden. Die Relevanz dieser psychischen Belastungen wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass die häufigste Ursache für Therapieabbrüche, nach dem ersten Zyklus einer IVF- Behandlung, psychische Gründe sind (Domar et al. 2018).

Viele Paare erleben jeden Monat ein Wechselspiel aus Hoffnung und Enttäuschung, wenn es nicht klappt. Es entsteht das Gefühl, die Kontrolle über den eigenen Körper und das eigene Leben zu verlieren. In einer Welt, in der wir gewohnt sind, Dinge zu planen und wenn wir nur hart genug daran arbeiten, diese dann auch realisieren zu können, kann es zu einer grossen Überforderung kommen, wenn sich der Wunsch nach dem eigenen Kind nicht erfüllt.

Besonders die „passive“ Zeitspanne zwischen Embryotransfer und Schwangerschaftstest wird von vielen Paaren als sehr herausfordernd und belastend empfunden  (Kentenich et al. 2017).

  

Ab wann soll ich mir Hilfe suchen? 

 

Solltest Du Dich emotional und körperlich sehr unwohl fühlen, Dich zunehmend aus sozialen Kontakten zurückziehen und als Folge dessen Deine Lebensqualität stark eingeschränkt sein, kann es sinnvoll sein, sich professionelle Unterstützung zu holen.

Das Erlernen von Fähigkeiten zur Bewältigung von sogenannten unveränderlichen Lebenssituationen wie dies bei ungewollter Kinderlosigkeit der Fall ist, kann ein wichtiger Meilenstein sein, diese herausfordernde Lebensphase kraftvoll bewältigen zu können.

Gerne nehme ich mich hier Deiner an und unterstütze Dich dabei, Dir Fähigkeiten und Strategien beizubringen, die Deinen Stress reduzieren und Dein Wohlbefinden steigern.

 

Quellen:

Boivin/Griffiths/Venetis (2011): Emotional distress in infertile women  and failure of assisted reproductive technologies: meta-analysis of prospective psychosocial studies. The British Medical Journal. 342.

Domar/Clapp/Slawsby/Kessel/Freizinger (2000). Impact of group psychological interventions on pregnancy rates in infertile women. Fertility & Sterility. 73(4): 805-11

Domar AD, Rooney K, Hacker MR, Sakkas D, Dodge LE (2018). Burden of care is the primary reason why insured women terminate in vitro fertilization treatment. Fertility and Sterility. 109(6): 1121-1126.

Domar/Rooney/Wiegand/Orav/Alper/Berger/Nikolovski (2011). Impact of a group mind/body intervention on pregnancy rates in IVF patients. Fertility and Sterility. 95(7), 2269–2273.

Domar/Zuttermeister/Friedman (1993). The psychological impact of infertility: a comparison with patients with other medical conditions. Journal of Psychosomatic Obstetrics & Gynecology. 14, 45-52.

Kentenich H, Tandler-Schneider A, Weblus AJ, Werling M (2017). Ärztliche Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch. Frauenarzt. 58: 60-65.

Massey/Campbell/Raine-Fenning/Pincott-Allen/Perry/Vedhara (2016). The relationship between hair and salivary cortisol and pregnancy in women undergoing IVF. Journal of Psychoneuroendocrinology. 74: 397-405.

Palomba/Daolio/Romeo/Battaglia/Marci/La Sala (2018). Lifestyle and fertility: the influence of stress and quality of life on female fertility. Reproductive Biology and Endocrinology. 16: 113

Rooney/Domar (2018). The relationship between stress and infertility. Dialogues in Clinical Neuroscience. 20 (1): 41-47.

Santa-Cruz/Caparros-Gonzalez/Romero-Gonzalez/Peralta-Ramirez/Gonzalez-Perez/García-Velasco (2020). Hair Cortisol Concentrations as a Biomarker to Predict a Clinical Pregnancy Outcome after an IVF Cycle: A Pilot Feasibility Study. International Journal of Environmental Research and Public Health. 17(9): 3020.

Wischmann (1999): Wenn der Wunsch nach einem Kind nicht erfüllt wird. In: Verres R, Schweitzer J, Jonasch K, Süßdorf B (Hrsg.): Heidelberger Lesebuch Medizinische Psychologie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, S. 203-213.

Wischmann, T., Schick, M. & Ditzen, B. (2020). Psychogene Infertilität – Mythos und Patientenstigmatisierung. Gynäkologische Endokrinologie. 18: 140–147.